«Was mich langweilt, mache ich nicht»

    Privat versteckt sich Matthias Habich hinter dunklen Brillengläsern.
    In seiner neuen Rolle spielt er den kurzsichtigen jüdischen Professor Victor Klemperer


   Tänzelnden Schrittes kommt er die Treppe herunter. Für einen Moment verstummen die Männer in den bunten Trainingsanzügen, junge Athleten mit sorgsam nach hinten gekämmten Haaren, die gerade an einem Lehrgang teilgenommen haben. Der da in die Rezeption des Sporthotels im niedersächsischen Barsinghausen «einschwebt», gehört nicht zu ihnen: verstrubbeltes Haar, das offene Hemd nachlässig über der Hose hängend, die Augen hinter dicken Sonnengläsern verborgen. Der Auftritt von Matthias Habich hat etwas von einer unheimlichen Begegnung der dritten Art.
   «Es ist gestern spät geworden», murmelt der Schauspieler entschuldigend. Deshalb will er sich auch erstmal nicht in die Augen schauen lassen und behält die Brille auf. Trotzdem bleibt man an dem zerfurchten Gesicht hängen, hört diese raue und doch so kultivierte Stimme und schwelgt für Sekunden in Erinnerungen an die eigene Jugendzeit. Anfang der 70er Jahre mimte er im Fernsehen den galanten Friedrich Freiherr von der Trenck, einen blonden Haudegen. Und heute? Einen kurzsichtigen Professor. Einen wortkargen mecklenburgischen Schreiner.
   59 Jahre ist Matthias Habich mittlerweile alt, und vielleicht wird er jetzt mit zwei Rollen noch einmal an seine frühere Popularität anknüpfen. Am 12. Oktober startet in den ARD die aufwendige Verfilmung der Tagebücher Victor Klemperers in zwölf Teilen. Sechs Monate stand Matthias Habich dafür vor der Kamera. Dann begann bereits sein nächstes Mammutprojekt: die «Jahrestage» von Uwe Johnson. Hier, in der Nähe von Barsinghausen, wird unter der Regie von Margarethe von Trotta gedreht. Neben Habich spielen Suzanne von Borsody und Susanna Simon mit. Zeitlich hinkt Habich etwas hinterher: Noch immer muss er rund 100 Seiten der Roman-Tetralogie lesen.
   Die Tagebücher Victor Klemperers, immerhin mehrere tausend Seiten, schaffte er in zwei Monaten. Es war «eine Direktschaltung in die  Vergangenheit. Man geht mit Klemperer durch die Banalität des Alltags, und dann zieht sich die Schlinge zu.»
   In seinen Aufzeichnungen hatte der jüdische Romanist sein Leben während der Nazi-Zeit festgehalten. Das Berufsverbot. Die Enteignung. Die zunehmende Entmündigung. Den Ausstoß aus der Gesellschaft. Den Hunger. Tägliche Schikanen, die Klemperer überlebte, weil er in einer so genannten Mischehe lebte, mit einer «arischen» Frau verheiratet war.
   Habich ist ein Glücksfall für diese Rolle. Er spielt mit ungeheurer Einfühlsamkeit, erfasst den manchmal selbstmitleidigen und egomanen Menschen, der gleichsam ein so scharfer Beobachter seiner Umwelt war, mit all seinen Nuancen.
   Habich war auch «ergriffen», spürte aber in manchen Drehszenen eine «Frivolität»: «Kinder steigen vor der Kamera in einen Waggon, der nach Auschwitz rollt. Man selbst wird gerade geschminkt. Später geht man nach Hause, fragt sich, darf man das spielen?» Er überlegt wenige Sekunden und sagt dann: «Man muss das spielen.»
   Auch Matthias Habich schreibt auf, was er beobachtet, auch er führt ein Tagebuch. Dort wird er festgehalten haben, was er in jenen Tagen vor fünf Jahren empfand, als er seine Geburtsstadt Danzig besuchte, die er als Kind nach dem Krieg verlassen hatte. Er fand den Weg zu seinem alten Elternhaus: «Mittlerweile wohnten acht Priester dort. In jedem Zimmer hing ein Bild vom Papst. Ich habe aber einiges wieder gesehen - die Frisierkommode meiner Mutter und eine Standuhr, die ich aus meiner Kindheit kannte.» Er erinnert sich auch noch an das Sirenengeheul, «obwohl der Krieg damals für mich nichts Bedrohliches hatte. Mein Vater, ein Kaufmann, war eingeschworener Nicht-Nazi. Alle seine Freunde waren Juden. Nach dem Krieg ist er oft nach Israel gereist.»
   Auch in den «Jahrestagen» wird Habich wieder mit der Nazi-Zeit konfrontiert, wieder geht es um ein Leben in der Diktatur. Er verkörpert Heinrich Cresspahl, einen aufrechten Mecklenburger, der aneckt und sich nicht unterordnet. Weder unter den Nazis noch in der DDR.
   Vielleicht liegen Habich diese Rollen, weil er selbst kein Bequemer ist. In Talk-Shows ist er kaum zu finden: «Ich möchte spielen, nicht quasseln.» Er ist kein Schauspieler, der in eine Arzt-Serie passt oder gar in einer Soap-Opera auftritt. «Ich muss in einem Drehbuch einen Knochen finden. Was mich langweilt, mache ich nicht.» Er bezeichnet sich als den «bekannten Unbekannten».
   «Freiherr von der Trenck», «Simplicissimus» - das waren große Fernseh-Erfolge der 70er, die Habich kurzzeitig zum Star machten. Dann wurde es auf dem Bildschirm lange Zeit stiller um ihn. Habich ging nach Paris und Berlin, spielte Theater, unter anderem bei Peter Brook. Erst in den vergangenen beiden Jahren tauchte er wieder häufiger in anspruchsvollen Fernseh-Verfilmungen auf wie «Die Rättin» nach Günter Grass und das Schuld-und-Sühne-Drama «Das Urteil».
   Er ist einer, der seinen «Beruf durchlebt». Wenn er mit einer Rolle nicht klarkommt, wandert er nachts durch die Straßen und überlegt, «wie er den Knoten platzen lassen kann». Auch wenn das pathetisch klingt, ihm nimmt man es ab, wenn er sagt: «Wenn ich zwei Monate nichts zu tun habe, gerate ich an den Rand einer Depression. Ich werde süchtig nach dem Set.»
   Er ist ein Globetrotter. Zwar hat er eine kleine Wohnung in Paris nahe der Bastille und noch eine in Zürich. Aber zu Hause - das sei er in der ganzen Welt, sagt er.
   In der Liebe ist die Welt von Matthias Habich auf eine fast schon seltene Art konservativ. Seit 33 Jahren lebt er in einer festen Beziehung, will aber nicht mehr darüber sagen.
   Jetzt nimmt er doch die dunklen Sonnengläser ab, zwinkert etwas mit den übermüdeten Augen und sagt: «Ich gucke lieber zu, als angeguckt zu werden.» Eigentlich eine etwas verwunderliche Aussage für einen Schauspieler - aber sie passt zu dem Mann, der manchmal wie einer vom andern Stern erscheint.
Jan Draeger

previous back next pix Berliner Morgenpost - 19.09.99